Edel Zimmer – Zwischen Spur und Natur

Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen

November 2015 – März 2016

Text von Dr. Petra Lanfermann

Die Arbeiten von Edel Zimmer kennzeichnet ein souveräner Umgang mit Hochdrucktechniken ergo auch mit dem Linolschnitt, unserem Sammlungsschwerpunkt. Doch dies eben nicht, wie so häufig auf Papier sondern sie wählt verschiedene textile Träger. Deutlich wird, auch in unserer Ausstellung, eine Vorliebe für ausdrucksstarkes Schwarz auf Weiß mit wenigen akzentuierenden Farben. Meist herrscht eine offene Komposition vor mit Spuren von natürlichen Druckstöcken oder auch Arbeitsvorgängen in der Natur. Das Meditative und Rhythmische, die Bewegung und Energie sind Leitmotive für Edel Zimmers bildnerische Überlegungen. Edel Zimmer hat in den mittlerweile Jahrzehnten ihres künstlerischen Schaffens ein vielfältiges, und sehr eigenständiges Gesamtwerk zusammengetragen, das natürlich noch lange nicht abgeschlossen ist. Unsere Ausstellung zeigt Objekte, Papier- und Stoffarbeiten, die jüngst entstanden sind, die sich aber schlüssig im Gesamtwerk der Künstlerin verorten lassen, die also im besten Sinne „typisch“ sind, doch gleichzeitig neues aufleuchten lassen – Spuren im Hier und Jetzt.
Eine erste Spur sehen Sie hier schon hinter mir, die sich hinauf in die beiden oberen Geschosse erstreckt. Damit sehen sie bereits an diesem Werk eben jene gerade genannten Merkmale – textiler Träger, Hochdrucktechnik, schwarz auf weiß. Das Werk misst allerdings fast gigantische 12 Meter Länge, mit einer dennoch luftig-leichten Erscheinung. Lange schmale Stoffbahnen kennen wir vor allem als Fahnen, doch hier ist es eben kein massiver und massiger, farbgetränkter Stoff, sondern eher ein transparenter Vorhang, der den Blick bannt, doch gleichzeitig nehmen wir auch das Dahinter wahr. Das Hier und Jetzt sind wichtiger Bestandteil der Arbeit, sowohl auf zeitlicher Ebene als auch hinsichtlich des Raumes, in dem es hier hängt. Manche Arbeit können Sie womöglich schon in einer anderen Ausstellung gesehen haben – aber nicht so. Denn Edel Zimmer reagiert mit der Hängung auf den jeweiligen Raum, d.h. sie beschäftigt sich auch intensiv mit den spezifischen Gegebenheiten vor Ort. Das Davor und Dahinter einerseits, das Hier und Jetzt andererseits sind wesentlich für das gesamte Werk von Edel Zimmer.
Grenzlinie, Offsetdruckfarbe auf Gewebe, Handabrieb von bearbeiteten Baumstämmen

Grenzlinie

So sehen Sie zu Beginn der Ausstellung, hier über mir und gegenüber dieser langen Fahne auch lange Stoffbahnen, allerdings im Gegensatz quer gehängt. Sie überspannen also die gesamte lange Wand, wirken aber erneut locker-leicht, was auch an der Art und Weise der Hängung liegt. Durch diese stellen sich zudem beim Betrachten unwillkürlich Assoziationen zu einer Landschaft ein, zumal der Stoff auch noch waagerechte Linien zeigt, d.h. man denkt schnell an einen Horizont und eine Berglandschaft, denn hinter den Wipfeln, die sich durch die Hängung ergeben, entdeckt man dahinter noch weitere, wie fernere, schneebedeckte Bergspitzen. Oder aber man fühlt sich an das Meer, an den Wellengang erinnert. Solche Mehransichtigkeit und vor allem Mehrdeutigkeit ist das Ansinnen von Edel Zimmer, etwa auch wenn Sie direkt daneben an der Wand, Stoffe in und um einen Rahmen montiert sehen: Das Werk trägt den Titel „Zwischentöne“, was man sowohl musikalisch auffassen kann, als aber auch wieder bildkünstlerisch, im Sinne von Farbtönen, denn dunkle, dichte Abschnitte und helle, durchscheinende Partien wechseln sich ab ebenso wie vertikale und horizontale Bahnen oder auch Linien.

Kreisrund

Und wenn Sie sich dann weiter durch die Kabinette der Ausstellung bewegen, kommen Sie auch zu einem gefüllten Raum mit sogenannten „Kreisrunden“, die von der Decke hängen, das sind dann ins Rund gefassten Stoffbahnen: Die Runden kreisen hier frei durch den Raum, sie spielen mit ihm, sie besetzen ihn, aber sie dominieren ihn nicht, da sie sich bewegen und lichtdurchlässig sind. Frei schwebend, wie in die Luft geworfene Reifen von Artisten (!), strahlen sie eine Leichtigkeit aus, die ihre Entsprechung in der Zartheit und Leichtigkeit der besprochen Stoffbahnen vorne – oder dieser Fahne – hat. In seiner ausgefüllten Form erinnert der Kreis auch an ein Rad und die Linien an Speichen, an ein immerwährendes Vorankommen. So wie das Rund für den ewigen Kreislauf des Lebens steht und der Kreis an sich ja die Unendlichkeit symbolisiert – keinen Anfang und kein Ende kennt. Das Hintereinanderreihen und staffeln im Raum lässt unser Auge Vor- und Zurückschweifen. Ein Davor und ein Dahinter – Vergangenes und Entstehendes werden so in einem abwechslungsreichen Prozess sichtbar. Und Sie, liebe Besucher, werden Teil davon, wenn Sie durch diese „Kreisrunden“ Objekte gehen, wenn Sie sie berühren, wenn sie von ihnen berührt werden.

Kreisrund, Offsetdruckfarbe auf Gewebe, Eisenringe, Handdruck von bearbeitetem Linoleum bzw. Handabrieb von bearbeiteten Baumstämmen
Natur? Offsetdruckfarbe auf Gewebe, Handdruck von bearbeitetem Linoleum

Natur?

Das Zusammenspiel von Stoffen ist ganz wesentlich, es ist DAS Prinzip von Edel Zimmer! Dies gilt auch für die schmalen Stoffbahnen in den beiden angrenzenden Räumen. Sie sehen sie einmal als Fries angeordnet, also waagerecht direkt auf die Wand gespannt und einmal mehrfach über ein Holzbrett aufgezogen und vertikal präsentiert. Jeweils sehen Sie lineare Spuren auf Netzstoff, welcher ja an sich schon sehr transparent ist, und indem Edel Zimmer die Stoffbahnen mehrfach schichtet, ergibt sich eine tiefe Räumlichkeit trotz eines eigentlich flachen Bildträgers. Jede Bahn ist einzigartig, wie sich gerade in der Zusammenschau sehr deutlich zeigt. Wir erahnen ein Dahinter, eine tieferliegende Schicht oder wir sehen Spuren, die mal zarter, mal deutlicher sind. Die eine Werkgruppe heißt denn auch „Natur?“.

Spuren

Letztlich sind es Notationen von Kraft und Abstraktionsstreben und damit ein Sichtbarmachen von Nicht-Sichtbarem. Diese abstrakten oder vom Gegenstand abstrahierenden Formen streben über den jeweiligen Bildrand hinaus und werden doch wieder zusammengefasst, so dass das Auge des Betrachters immer in Bewegung gehalten wird. Andererseits kann man sich auch an Blätter im Wind oder Teile von Baumrinden erinnert fühlen, eben an Natur mit Fragezeichen.

Spuren, Offsetdruckfarbe auf Gewebe, auf MDF, Handdruck von bearbeitetem Linoleum

„le roi est nu“ – des Kaisers neue Kleider

Folgen wir ihr zu einer neuen, ganz anderen Werkgruppe, nämlich Kleidern aus Draht. Wobei der Bruch gar nicht so groß ist: Edel Zimmer setzt sich schon lange mit Mode und Schneidern und ihr Werkstoff für die Drucke sind ja nicht umsonst Textilien. Nun bei diesen Kleidern jedoch, unterläuft sie die Erwartung, denn verwendet eben keine Stoffe! Kleider aus Draht – statt aus fließenden, vielleicht kostbaren, anschmiegsamen Stoffen. Ein Widerspruch? Mitnichten, denn man muss ja nur gute 100 Jahre zurückdenken, als Draht mit Reifrock und Korsett allgegenwärtig in der Damenmode war. Und so war auch Edel Zimmers Zugang: Ihre Künstlergruppe namens Rokokotten kreiert alle zwei Jahre zur Venezianischen Messe in Ludwigsburg skurrile Kleider aus ungewöhnlichen Materialien. Für Reifröcke zog sie daher auch Draht heran, um dann erstmals vor zwei Jahren eine solchen Kleid AUS Draht zu gestalten, diesen Werkstoff also nicht nur als Mittel zum Zweck einsetzte. Seither entstanden nun Kleider, Röcke, korsettartige und enganliegenden Bodys, von denen Sie bei uns sieben Exemplare sehen können. Sie sind versammelt wie in einem begehbaren Kleiderschrank, allerdings: in einen schwarzen Raum und in effektvolles Licht getaucht.

Diese Objekte sind geformt aus verschiedenen Drähten, mit Kringeln, Knötchen, Ranken oder ähnlichen Verdichtungen, zum Teil akzentuiert mit Japanpapier. Ein Liniengeflecht, das mal strenger mal verspielter ein Muster ergibt. Normalerweise umhüllt uns ein Kleid und es verhüllt auch – diese Kleider aber tun weder das eine – so stachelig und starr Draht ja ist – noch das andere, so luftig-zart sie geflochten sind. So heißen sie auch: Des Kaisers neuen Kleider, Sie entsinnen sich des tiefgründigen Märchens. Diese Kleider zeichnen die Kontur des Körpers nach, in einigen hat die Künstlerin sogar selbst mal gesteckt. Man denkt sich also unwillkürlich ein Darinnen mit. Und einige greifen auch in den Raum aus, etwa ein Ballonrock oder eine Hommage à Schlemmer. Die ganze Installation spielt eine Rolle, d. h. auch hier wie schon bei den Stoffen gilt: Schauen Sie nicht DARAUF, also auf das einzelne, filigrane Drahtgeflecht. Sondern schauen Sie eben auch auf das Dahinter, denn die Schatten bilden eine Zeichnung an der Wand, hinter-gründig im wahrsten Sinne des Wortes, schwarz auf schwarz. Und diese linieare Wandzeichnung ist Edel Zimmer ebenso wichtig wie das Objekt, das diese hervorruft, denn die Linie – Sie erinnern sich – ist es, die sie ganz besonders interessiert. Linien sind nicht nur in der bildenden Kunst unverzichtbar, sondern in unser aller Leben wichtig, sie bestimmen unsere Weltsicht, markieren Begrenzungen und geben Richtung gleichermaßen.