Edel Zimmer – Zwischen Spur und Natur
Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen
November 2015 – März 2016
Text von Dr. Petra Lanfermann
Grenzlinie
So sehen Sie zu Beginn der Ausstellung, hier über mir und gegenüber dieser langen Fahne auch lange Stoffbahnen, allerdings im Gegensatz quer gehängt. Sie überspannen also die gesamte lange Wand, wirken aber erneut locker-leicht, was auch an der Art und Weise der Hängung liegt. Durch diese stellen sich zudem beim Betrachten unwillkürlich Assoziationen zu einer Landschaft ein, zumal der Stoff auch noch waagerechte Linien zeigt, d.h. man denkt schnell an einen Horizont und eine Berglandschaft, denn hinter den Wipfeln, die sich durch die Hängung ergeben, entdeckt man dahinter noch weitere, wie fernere, schneebedeckte Bergspitzen. Oder aber man fühlt sich an das Meer, an den Wellengang erinnert. Solche Mehransichtigkeit und vor allem Mehrdeutigkeit ist das Ansinnen von Edel Zimmer, etwa auch wenn Sie direkt daneben an der Wand, Stoffe in und um einen Rahmen montiert sehen: Das Werk trägt den Titel „Zwischentöne“, was man sowohl musikalisch auffassen kann, als aber auch wieder bildkünstlerisch, im Sinne von Farbtönen, denn dunkle, dichte Abschnitte und helle, durchscheinende Partien wechseln sich ab ebenso wie vertikale und horizontale Bahnen oder auch Linien.
Kreisrund
Und wenn Sie sich dann weiter durch die Kabinette der Ausstellung bewegen, kommen Sie auch zu einem gefüllten Raum mit sogenannten „Kreisrunden“, die von der Decke hängen, das sind dann ins Rund gefassten Stoffbahnen: Die Runden kreisen hier frei durch den Raum, sie spielen mit ihm, sie besetzen ihn, aber sie dominieren ihn nicht, da sie sich bewegen und lichtdurchlässig sind. Frei schwebend, wie in die Luft geworfene Reifen von Artisten (!), strahlen sie eine Leichtigkeit aus, die ihre Entsprechung in der Zartheit und Leichtigkeit der besprochen Stoffbahnen vorne – oder dieser Fahne – hat. In seiner ausgefüllten Form erinnert der Kreis auch an ein Rad und die Linien an Speichen, an ein immerwährendes Vorankommen. So wie das Rund für den ewigen Kreislauf des Lebens steht und der Kreis an sich ja die Unendlichkeit symbolisiert – keinen Anfang und kein Ende kennt. Das Hintereinanderreihen und staffeln im Raum lässt unser Auge Vor- und Zurückschweifen. Ein Davor und ein Dahinter – Vergangenes und Entstehendes werden so in einem abwechslungsreichen Prozess sichtbar. Und Sie, liebe Besucher, werden Teil davon, wenn Sie durch diese „Kreisrunden“ Objekte gehen, wenn Sie sie berühren, wenn sie von ihnen berührt werden.
Natur?
Das Zusammenspiel von Stoffen ist ganz wesentlich, es ist DAS Prinzip von Edel Zimmer! Dies gilt auch für die schmalen Stoffbahnen in den beiden angrenzenden Räumen. Sie sehen sie einmal als Fries angeordnet, also waagerecht direkt auf die Wand gespannt und einmal mehrfach über ein Holzbrett aufgezogen und vertikal präsentiert. Jeweils sehen Sie lineare Spuren auf Netzstoff, welcher ja an sich schon sehr transparent ist, und indem Edel Zimmer die Stoffbahnen mehrfach schichtet, ergibt sich eine tiefe Räumlichkeit trotz eines eigentlich flachen Bildträgers. Jede Bahn ist einzigartig, wie sich gerade in der Zusammenschau sehr deutlich zeigt. Wir erahnen ein Dahinter, eine tieferliegende Schicht oder wir sehen Spuren, die mal zarter, mal deutlicher sind. Die eine Werkgruppe heißt denn auch „Natur?“.
Spuren
Letztlich sind es Notationen von Kraft und Abstraktionsstreben und damit ein Sichtbarmachen von Nicht-Sichtbarem. Diese abstrakten oder vom Gegenstand abstrahierenden Formen streben über den jeweiligen Bildrand hinaus und werden doch wieder zusammengefasst, so dass das Auge des Betrachters immer in Bewegung gehalten wird. Andererseits kann man sich auch an Blätter im Wind oder Teile von Baumrinden erinnert fühlen, eben an Natur mit Fragezeichen.
„le roi est nu“ – des Kaisers neue Kleider
Folgen wir ihr zu einer neuen, ganz anderen Werkgruppe, nämlich Kleidern aus Draht. Wobei der Bruch gar nicht so groß ist: Edel Zimmer setzt sich schon lange mit Mode und Schneidern und ihr Werkstoff für die Drucke sind ja nicht umsonst Textilien. Nun bei diesen Kleidern jedoch, unterläuft sie die Erwartung, denn verwendet eben keine Stoffe! Kleider aus Draht – statt aus fließenden, vielleicht kostbaren, anschmiegsamen Stoffen. Ein Widerspruch? Mitnichten, denn man muss ja nur gute 100 Jahre zurückdenken, als Draht mit Reifrock und Korsett allgegenwärtig in der Damenmode war. Und so war auch Edel Zimmers Zugang: Ihre Künstlergruppe namens Rokokotten kreiert alle zwei Jahre zur Venezianischen Messe in Ludwigsburg skurrile Kleider aus ungewöhnlichen Materialien. Für Reifröcke zog sie daher auch Draht heran, um dann erstmals vor zwei Jahren eine solchen Kleid AUS Draht zu gestalten, diesen Werkstoff also nicht nur als Mittel zum Zweck einsetzte. Seither entstanden nun Kleider, Röcke, korsettartige und enganliegenden Bodys, von denen Sie bei uns sieben Exemplare sehen können. Sie sind versammelt wie in einem begehbaren Kleiderschrank, allerdings: in einen schwarzen Raum und in effektvolles Licht getaucht.